Die Tätigkeit des Chordirigierens hat höchst selten etwas mit der romantischen Vorstellung einer wilden Künstlerexistenz zu tun. Das Arbeiten mit Chören lebt von Konstanz, wohldurchdachter Probendisposition und ist oftmals auch eine Geduldsübung. Nun hat es sich bei mir so ergeben, dass meine drei Chöre, mit denen ich nahezu allwöchentlich probe, so unterschiedlich aufgestellt sind, dass ich mir zuweilen wie ein Wanderer vorkomme, der sich frei durch die verschiedensten Welten bewegt.
Das vergangene Wochenende bot eine Maximalvariante dieser Kontrasterfahrung. Es begann am Freitagabend mit einem denkwürdigen Konzert am wunderbaren Saint-Ghetto-Festival in der Dampfzentrale. Ich wurde angefragt, mit den Damen meines Vokalensembles Suppléments musicaux die Sängerin Dillon zu begleiten, die auf ihrer aktuellen Tour ihre technoiden, zwischen Pop und Psychedelic changierenden Songs mit Frauenchorarrangements kombiniert. Schon bei der Probe machte uns die exzentrische Berlinerin klar, dass der klassische Schöngesang sie nicht im geringsten interessiere, dass alles sehr laut und kühl zu singen sei, bis an die physische Schmerzgrenze. Trotz gewisser Vorbehalte gegenüber dem letzten Punkt gestalteten wir die Musik in diesem Sinne.
So stand ich also beim Konzert in einem Orkan von dröhnenden Bässen und Stroboskopkaskaden und versuchte inmitten von Blitzgewitter und Nebel, meine – im Übrigen bestens vorbereiteten Sängerinnen – durch die Songs zu lotsen. Danach führten wir uns noch die Auftritte des Queer-Rappers Mykki Blanco, der britischen Minimalisten Raime und ein verstörendes Konzert des japanischen Duos group A zu Gemüte und tanzten und tranken uns durch die Nacht. Das Konzert, das ich mit derselben Truppe, nun ergänzt durch die Männerstimmen unseres Ensembles, am Samstagnachmittag im Konzertsaal des Elfenauparks zu bestreiten hatte, war dann doch noch von den Strapazen der vorangehenden Nacht geprägt.
Gänzlich abstrus wurde es, als ich mich am Sonntagmorgen in aller Früh in Richtung Oberaargau in Bewegung setzte, um mit dem Männerchor Wangen an der Aare einen Gottesdienst zu umrahmen. Beim Versuch, meine allesamt schon ergrauten Herren davon abzuhalten, im intonatorischen Orkus zu versinken, wummerten immer noch die Beats vom Freitag in meinem Kopf und ich fühlte mich, als hätte ich gerade im Fernsehen zwischen einem Arthouse-Film und "SRF bi de Lüt" hin und her gezappt.
Kleine Anmerkung: Dass meine Berner SängerInnen trotz Kater einen phänomenalen Schumann darboten und die Männerchörler, die sich den Messwein schon vor dem Gottesdienst gegönnt hatten, während der Messe auch ganz passabel anstimmten, zeigt vielleicht doch, dass auch Chorsingen manchmal Rock’n’Roll ist.
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