Ich sitze hier und schreibe über mich, unter meinem Balkon kreischen Kinder. Es gibt Licht auf der Strasse, Licht im Baum, es gibt mich mit dem Blick nach draussen.
Ich habe ein Ich, das ein Buch geschrieben hat, lasse meine Figuren reden, auch mich selbst, über die Figuren, mich, die Welt. Ein anderes Ich ist eine Mutter, die mit dem Kind am Spielplatz steht, die zuschaut, wie das Kind im Karussell sitzt und sich im Kreis dreht. Ein drittes Ich hat vier Jahre an einer Geschichte geschrieben, viel Platz eingenommen in meinem Leben. Jetzt ist es still geworden. Ich habe diese Ichs, die ein logisches Ganzes ergeben, doch manchmal scheint es mir, als würden sie nicht zusammen leben.
Es könnte sein, dass viele mein Buch lesen. Es könnte sein, dass es einen Preis gibt. Es könnte sein, dass eine Zeitung fragt nach diesem Ich, das ein Buch geschrieben hat, das aber ein anderes ist, als jenes, das dann hingeht und etwas sagt zum Buch oder zur Lage der Schweiz, oder zum Ankommen im Literaturbetrieb.
Und ich freue mich und staune manchmal über diese Möglichkeit, auch über die Anfrage eines Fernsehsenders, in einem Unterhaltungsformat einen Beitrag über mich zu bringen, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich ein Ich habe, das dafür zuständig ist. Und ich frage mich, warum sie mich fragen, welches Ich wurde da gesehen, das Ich, das mit meinem Muttersein zu tun hat, oder ich als Frau, als Künstlerin? Und welches Bild bediene ich dann?
In meinem Schreiben habe ich keine Position, da muss ich hinhören, was in mir ist, da halte ich mich an meine Sprache, die von dem erzählen kann, von dem ich noch nichts weiss. Es ist die Stimme der Sinnlichkeit.
Und ich gehe im Literaturbetrieb, der die Sinnlichkeit zum Geschäft hat, noch naiv herum, freue mich der Aufmerksamkeit, bin nett.
Die Lust am lebendig sein, das Wach bleiben, die Neugierde möchte ich in die Köpfe tragen. Auch deshalb habe ich mich entschieden, das Angebot der Unterhaltungssendung anzunehmen, weil da noch andere Köpfe sind, Menschen, die von meinem Buch hören, die ausserhalb des Literaturbetriebes leben, und auch aus Eitelkeit, bestimmt.
Im Moment schaue ich gerne von aussen auf mein Buch und ich bin dankbar, dass es Menschen gibt, die mein Buch lesen, Menschen, die darüber reden. Ich weiss von meinem Glück, beachtet zu werden. Und dennoch nähere ich mich dem Zustand an, mein Buch anzuzweifeln. Es hätte tiefer gehen können, intensiver, ehrlicher, länger, ausdauernder geschaut, gedacht, gefühlt werden können. Das bedeutet doch, dass ich mich nach dem Zustand sehne, nach den kurzen, seltenen Momenten, in denen man das Gefühl hat, etwas Grosses zu verstehen. Ein Gefühl ist das dann, für das man die Worte fand, die ihm, dem Gefühl nahe kamen.
Auch weiss ich, das ist ein altes Problem, aber ich glaube nicht, dass meine Figuren mich brauchen. Ich habe sie erfunden, sie sind in den Köpfen der Leser, und ich bin mir sicher, es tut der Welt gut, diese Figuren zu haben.
Aber ich rede gerne über die Welt, die ich erschrieben habe, auch über die, in der ich lebe, ich will in ihr etwas bewegen.
Und doch werde ich manchmal traurig, weil es mir unmöglich scheint, Künstlerin, Mutter, Freundin, Rednerin, Aktivistin, Wäscherin zu sein. Manchmal sehne ich mich nach dem weissen Raum, in den ich gehe, und nichts ist passiert und nichts definiert. Und ich könnte in diesem weissen Raum von Anfang an beginnen, das erste Mal sehen. Da muss ich, das merke ich, bald wieder hin.
Und was ich will, ist sehen können, was ich will, ist wach sein. Ich schreibe auch, wenn ich die Welt betrachte. Ich kann die Welt so mögen und bewundern. Auch die Figuren, die ich erschaffe, liebe ich, ich liebe sie, wenn sie schrecklich sind, weil sie menschlich sind. Weil ich sie verstehe. Weil sie lebendig werden, auch die Welt wird lebendig durch meinen Blick. Ein Berg zum Beispiel bleibt dann nicht länger nur ein Berg, ein Steingebilde. Er ist ein grosser Stein mit Geräuschen, die in seiner Form sichtbar und hörbar sind. Er hat feine Zeichnungen auf sich, von Schnee, Wind und Gewächs gemacht. Ich liebe den Berg für das, was er auch noch sein kann, ausser dem Wort Berg. Zum Beispiel wachsen bei ihm unten die Bäume und oben wächst nichts, beim Menschen wächst viel oben und unten fast nichts. Ich tue das für mich, um gerne zu leben, um nicht einzuschlafen. Ich versuche es wie das Kind, das gar nicht anders kann, weil es die Dinge nicht kennt. Für das Kind ist der Berg niemals nur das Wort Berg. Genau wie das Kind möchte ich nicht alles verstehen, ich möchte es erfahren. Ich möchte wissen, was sein kann.
Und mit dem Schreiben festigt man diesen Blick und kann ihn weitergeben. Kann zeigen, was noch möglich ist, kann wachhalten. Die Welt lebendig halten.
Unten im Hof sind die Kinder still geworden. Das Licht auf den Dingen gibt es noch, auch mein Kind, das mich braucht, die Figuren, die von ihrer Welt erzählen, es gibt mein Schreiben an diesem Text, es gibt die Sinnlichkeit und manchmal die Momente, in denen alle zusammen ein logisches Ganzes ergeben.
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